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Meldung

GI-Fachbereich IUG lehnt erneute Videoüberwachungstests am Bahnhof Berlin Südkreuz ab

Die Einschränkung der individuellen Freiheitsrechte und die Gefahr einer verhaltensverändernden Wirkung wiegt aus Sicht des Fachbereichs „Informatik und Gesellschaft“ der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) den möglichen Nutzen der Systeme nicht auf.

Seit einer Woche testen Deutsche Bahn und Bundespolizei am Berliner Bahnhof Südkreuz ein neuartiges Kamerasystem, welches selbstständig auffällige Verhaltensweisen erkennen soll. Die eingesetzte Bildanalysesoftware sei in der Lage, „zweifelsfrei Situationen zu erkennen, die Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit des Bahnbetriebs beeinträchtigen könnten.“ Hierfür planen sie, Systeme von IBM, Hitachi, Funkwerk video systeme und G2K Group einzusetzen.[1, 2]

Bereits 2017 startete trotz zahlreicher Proteste am Bahnhof Berlin Südkreuz ein Testlauf zur Videoüberwachung, welcher zunächst die Erkennung von Gesichtern umfasste. Nun sollen darüber hinaus auch Verhaltensmuster erkannt werden. Die erste Projektphase wurde vom Bundesinnenministerium als Erfolg bezeichnet.[3] Diese Einschätzung wurde jedoch von Expert*innen massiv kritisiert und als geschönt bescheinigt.[4]

Problematisch bei den vorangegangenen Tests zur Gesichtserkennung war insbesondere die hohe Rate von falsch-positiven Treffern, also zu Unrecht vom System „erkannten“ Personen. Die Bundespolizei gibt an, dass sie erwartet, durch geeignete Kamerapositionen diesen Anteil auf 0,1% drücken zu können. Noch liegt der Wert wesentlich höher. Doch selbst diese 0,1% wären äußerst problematisch. So kommt eine korrekte Interpretation der veröffentlichten Zahlen[5] zu dem Ergebnis, dass das Gesichtserkennungssystem 99,3 % der Verdächtigen zu Unrecht verdächtigt, trotz der erhofften 0,1%. Sollte das System wirklich auf alle 12,7 Millionen Menschen angewendet werden, welche täglich mit der Bahn reisen, würden im Jahr über 4 Millionen Fahrgäste zu Unrecht verdächtigt werden - mit weitreichenden Folgen für alle Betroffenen.

Der Gegenstand des neuerlichen Tests am Südkreuz ist die Erkennung von „den Bahnbetrieb beeinträchtigenden Situationen“, definiert durch die folgenden Punkte: „abgestellte Gegenstände“, „Betreten festgelegter Bereiche (sog. Perimeterschutz)“, „liegende (hilfsbedürftige) Person“, „Personenströme/Ansammlungen“, „Nachvollziehen der Position von einzelnen Personen/Gegenständen in Bahnhöfen“, „retrograde Auswertung von Videodaten“ und „Personenzählung (insb. Bahnsteigüberfüllung)“[6] und soll mit Hilfe von nachgestellten Szenen in klar markierten Bereichen erfolgen. Diese Auswahl erscheint dermaßen beliebig, dass sich sinnvolle und überprüfbare Leistungskenndaten kaum angeben lassen und die Aussagekraft des Testpojekts äußerst fraglich ist. Auch werden in diesem wie auch im vorherigen Projekt Daten gespeichert. Der Hinweis auf klar gekennzeichnete und vermeidbare Testbereiche kann hierbei nicht gelten gelassen werden, da es zu Stoßzeiten und bei kurzen Umstiegszeiten an einem viel befahrenen Bahnhof eben nicht immer möglich ist, bestimmte Bereiche punktgenau zu vermeiden. 

„Wir sehen zunehmend Projekte, um Daten in neuen Kontexten sammeln und auswerten zu können und hören von Vorschlägen, Verschlüsselung einzuschränken und vertrauliche Kommunikation aufzuweichen“, so Prof. Dr. Christina B. Class, Sprecherin des Fachbereichs Informatik und Gesellschaft der GI. „Die sich abzeichnende Tendenz, Freiheitsrechte mit Hilfe von Technologie zu schwächen, ist äußerst besorgniserregend und wir fordern dazu auf, geplante Projekte wie das am Bahnhof Berlin Südkreuz zu beenden.“

Der Fachbereich fordert daher, die laufende Projektphase unverzüglich abzubrechen und vom künftigen Einsatz entsprechender Überwachungssysteme Abstand zu nehmen.

 [1] https://www.deutschebahn.com/de/presse/pressestart_zentrales_uebersicht/Innovative-Technik-fuer-mehr-Zuverlaessigkeit-und-Qualitaet--4183854
[2] https://www.tagesspiegel.de/berlin/videoueberwachung-in-berlin-das-suedkreuz-wird-wieder-zum-drehort/24439112.html?utm_medium=email
[3] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2018/10/gesichtserkennung-suedkreuz.html
[4] https://www.ccc.de/de/updates/2018/debakel-am-suedkreuz
[5] https://www.mpib-berlin.mpg.de/sites/default/files/press/181030_unstatistik_oktober.pdf
[6] https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/035/1903592.pdf

Prof. Dr. Christina B. Class, Sprecherin des Fachbereichs Informatik und Gesellschaft
Prof. Dr. Christina B. Class, Sprecherin des Fachbereichs Informatik und Gesellschaft